1. Synopsis
In einer alten Glockengießerei in Slowenien lebt der Meister Svetocar Badalic mit seiner Frau und der Tochter Beate sowie dem Gesellen Svetelenz. Am Feierabend erzählt der Alte von jenem sagenumwobenen Jahr 1684, als die Türken das Land verwüsteten (Rückblende) und auch die Glockenschmiede bis auf die Grundmauern in Schutt und Asche legten. Einem Gerücht zufolge hatten sie dabei einen Schatz zurückgelassen (1.Satz). Svetelenz möchte diesen Schatz finden und Beate zur Frau gewinnen. Er liest geheimnisvolle Bücher, schneidet sich eine Wünschelrute und geht nachts auf die Suche. Mittlerweile hat sich zwischen Beate und dem jungen, zum Verzieren einer neuen Glocke eingetroffenen Goldschmied Arno ein Liebesverhältnis entwickelt . Auch Arno sucht den Schatz und entdeckt einen Hohlraum im Mittelpfeiler des Hauses (2. und 3.Satz). Unter einem Vorwand wird er mit Beate in den Weinberg geschickt, und nun machen sich Svetelenz, Meister und Meisterin an die Hebung der Kiste: Goldgefäße, Münzen, Schmuck glänzen ihnen entgegen (4.Satz). Die Alten verschachern ihre Tochter an Svetelenz um dessen Anteil. Als Arno und Beate zurückkehren und Svetelenz seine Braut in Besitz nehmen will, ergreifen die jungen Liebenden nach turbulentem Handgemenge die Flucht - Arno hat seinen ‘Schatz‘ gefunden. Die Alten ziehen sich mit der ganzen Beute in ihr Zimmer zurück, und der geprellte Svetelenz zerstört in wilder Wut den Pfeiler, in dem der Schatz gelegen hatte, worauf das Haus in einem infernohaften Finale über den Habgierigen zusammenbricht (5.Satz).

2. Der Film
In der Zeit, als die Bilder laufen lernten, gehörte Deutschland zu den interessantesten Filmlandschaften der Welt. Einer, der in den 20er-Jahren wesentlich zur Anerkennung des deutschen Stummfilmes beitrug, war der Regisseur Georg Wilhelm Pabst, der sich nach romantisch-expressionistischen Anfängen schon bald der realistischen Darstellung von Wirklichkeit zuwandte. Seine Werke wie die 1929 entstandene "Büchse der Pandora" nach Wedekind mit Louise Brooks wurden international zu einem Vorbild für die Filmkunst. "Der Schatz", entstanden im Jahre 1922, ist seine erste Regiearbeit. Ausgehend von einer Novelle des damals populären Trivialautoren Rudolf Hans Bartsch inszenierte Pabst eine Parabel auf seine Zeit, in der die Inflation auf ihren Höhepunkt zutrieb und die Gesellschaft in extreme Gegensätze teilte. Es entstand eine Großproduktion, die zwar Elemente des ausgehenden Expressionismus verwendete, aber zugleich in Erzählweise und in der Person des jugendlichen Antihelden diesen Expressionismus verwarf. Denn zwar sind in dem Film die Referenzen zum deutschen Expressionismus mit seinen starken Lichtkontrasten, bizarren Verformungen des Dekors und metaphorischen Schauplätzen unverkennbar, doch wenn am Ende des Films das expressionistische Haus Badalics in einer Brandkatastrophe zusammmenbricht, so ist dies nicht nur das Ende einer märchenhaften Filmstory, sondern das Ende einer Epoche des deutschen Films: „Die labyrinthische, altdeutsch-massige Golem-Welt, die Robert Herlth und Walter Röhrig hier nachgebaut haben, bricht am Ende zusammen, und die Geschichte, die Pabst erzählt, ist von Beginn an schnörkellos und lakonisch auf dieses Finale hin konstruiert.” (Klaus Kreimeier in: G.W.Pabst, Berlin 1997)
Im Film selbst ist diese Zerstörung des ‚Alten’ bereits thematisch angelegt in der Figur des modernen Helden Arno, der den Schatz im Hause des Glockengießers nicht mithilfe von Magie, sondern von Mathematik sucht und findet. Er verkörpert inmitten der mystischen Märchenwelt den rational denkenden Spurensucher, und nimmt damit auch zahlreiche Detektivgestalten der späteren Filmgeschichte vorweg.

3. Die Filmsymphonie Der Schatz
Für die Premiere des Filmes am 26. Februar 1923 im Dresdner Prinzeßtheater schuf der Schönberg-Schüler Max Deutsch in enger Abstimmung mit dem Regisseur GW Pabst eine Filmsymphonie in fünf Sätzen, die heute als erste für den Film geschriebene Symphonie gilt. Die Überlieferung der Originalpartitur, Anfang der 1980er Jahre vom Komponisten kurz vor dessen Tod an das Deutsche Filmmuseum Frankfurt übergeben, stellt einen außergewöhnlichen Glücksfall dar, handelt es sich doch hierbei um eine der wenigen erhaltenen Originalmusiken und zugleich um eine der künstlerisch bemerkenswertesten Filmmusiken der Stummfilmzeit. Ihre Wiederaufführung im Zuge der Restaurierung des Filmes Ende der 1990er Jahre fand ein großes internationales Echo. Auf erstaunliche Weise entzieht sich der leider heute in Deutschland weitgehend unbekannte Komponist Max Deutsch den damaligen Konventionen der Kinomusik. Seine "Filmsymphonie", die erste ihrer Art, will als authentische, eigenständige Kunstmusik gelten. Volker Scherliess in der Neuen Zeitschrift für Musik (1984) über Max Deutschs außergewöhnliche Komposition: “Analog zur filmischen Gestaltung bleibt auch die Musik über weite Strecken flächig. Sie will und kann nicht jedes Detail nachvollziehen, sondern entwickelt sich großenteils selbständig, wobei die musikalischen Bildungen durch charakteristische Momente der Handlung angeregt werden. (...) Die Musik psychologisiert zuweilen, ohne sich aber ins Detail zu verlieren; sie ist durch ein lockeres Netz von Leitmotiven verknüpft, die einer bestimmten Person oder Atmosphäre zugeordnet sind. Dabei ergibt sich mitunter eine, gerade wenn mehrere Themen kombiniert werden, Dichte des Satzes, die den Anspruch autonomer sinfonischer Musik erfüllt.” Die Filmsymphonie vermag es, wie Scherliess ausführt, durch ihre Leitmotivtechnik Handlungszusammenhänge zu verdeutlichen: “Max Deutschs Musik vollzieht nicht nur den filmischen Ablauf nach, indem sie ihn begleitet, sondern kommentiert und überhöht die Bildsprache; sie untermalt nicht nur, sondern malt selbst mit, wobei das Orchester (Flöte, Oboe, Klarinette, Trompete, Posaune, Schlagzeug, Harmonium, Klavier und Streicher) teils kräftige, teils subtile Farben setzt.” Wie auch der Film ist die "Film-Symphonie" nach klassischem Vorbild in fünf Akte unterteilt, die voneinander abgeschlossen dargeboten werden.
Der Komponist Max Deutsch stand zur Zeit der Entstehung seiner Filmmusik in engem Kontakt mit seinem Komponistenkollegen Ferruccio Busoni, der sich außerordentlich stark für die konzeptionelle Weiterentwicklung der Filmmusik interessierte und in vielen Diskussionen mit Max Deutsch regen Anteil an dessen Ideen und am Schaffensprozess dieser Komposition nahm.

4. Die Restaurierung der Musik
Im Zuge der Rekonstruktion des Filmes wurde Frank Strobel mit der Wiederherstellung der Originalpartitur beauftragt. Sie war aufgrund äußerer Einflüsse und säurezersetztem Papier im Laufe der Jahrzehnte beschädigt worden. Strobel sah sich zunächst vor die Aufgabe gestellt, viele unleserlich gewordene Noten zu identifizieren und die Partitur im Hinblick auf ihre harmonische und rhythmische Stimmigkeit zu rekonstruieren. Sodann musste, da fast keine Synchronangaben überliefert sind, das Notenmaterial den einzelnen Szenen zugeordnet werden. Diese Zuordnung erforderte eine gründliche interpretatorische Durcharbeitung des Materials, da die Musik alles andere als illustrativ ist und viele Zäsuren im Film (wie Schnitte oder Szenenwechsel) übergeht; zum anderen fehlen an verschiedenen Stellen wenn auch nur kurze Sequenzen Filmmaterial, sodass wiederum Kürzungen und Umstellungen im musikalischen Ablauf notwendig waren, wobei die subtile und stringente Konstruktion der Musik unangetastet bleiben sollte. Daher entschied man sich auch entsprechend dem musikalischen Ansatz des Komponisten, zwei Fassungen zu publizieren: eine Musikfassung zur Live-Begleitung des Filmes, die die oben beschriebenen Eingriffe in die Musik enthält, und die auf dieser CD erstmals vorliegende Konzertfassung.

Biographie Max Deutsch (Komponist)
Der musikalische Werdegang des 1892 in Wien geborenen Max Deutsch ist vor allem durch die Begegnung mit Arnold Schönberg geprägt. 1912, als Deutsch die Vorlesungen von Guido Adler an der Universität Wien besucht, lernt er Schönberg kennen und wird dessen Schüler. Zugleich fungiert er um 1920 gelegentlich als sein Assistent.
Anfang der 20er Jahre dirigiert Deutsch zunächst Operettenaufführungen in Wien und wird 1923 Leiter des Blüthnerorchesters in Berlin. Während dieser Zeit erhält er vom Filmregisseur G.W. Pabst den Auftrag, die Filmmusik zu dessen Film Der Schatz zu schreiben. Es entsteht die erste komplette Filmsymphonie der noch jungen Filmgeschichte. Während die Filmmusik tonal komponiert ist, widmet sich Deutsch nun zunehmend der atonalen Musik nach den Theorien Schönbergs. Seit 1925 in Paris ansässig, dirigiert Deutsch dort u.a. die französische Uraufführung von Alban Bergs Kammerkonzert und Teile von Schönbergs Gurrelieder und gründet daneben das Theater Der jiddische Spiegel. Von 1933 bis 1935 arbeitet Deutsch in Madrid für eine Filmgesellschaft, von 1939 bis 1945 schließt er sich der französischen Fremdenlegion an.
Seit 1945 tritt Deutsch, wieder in Paris und nun französischer Staatsbürger, vorwiegend als Pädagoge hervor, indem er die Lehren der Zwölftonmusik des 1951 verstorbenen Schönberg fortführt. 1960 gründet Deutsch die renommierte Veranstaltungsreihe Grands Concerts de la Sorbonne, ein Forum vor allem für jüngere Künstler; 1971 wird er als Professor für Komposition an die Musikhochschule Paris berufen. 1982 stirbt Deutsch in Paris.